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01/06/2022

Timur Turlov und das Geheimnis des richtigen Zeitpunkts

Als Timur Turlov jüngst nach Deutschland reiste, um Freedom Finance vorzustellen, war der Krieg in der Ukraine knapp drei Monate alt. In Frankfurt und Berlin wollte der junge CEO und Milliardär sein Neo-Broker-Unternehmen vorstellen. Der richtige Zeitpunkt, um als gebürtiger Russe in den Westen zu gehen? Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt begleitet Timur Turlov sein Leben lang.

Dieses Leben begann im November 1987 in Moskau. Als er drei Jahre alt war, schenkte ihm der Vater zum Abschied Spielzeug und ließ die Familie allein und nie mehr von sich hören. Für ein Kind in diesem Alter der falsche Zeitpunkt. Danach brach die Sowjetunion zusammen. Der Alltag der Familie geriet in arge Turbulenzen, die seine ganze Kindheit prägten.

Schon in der Schulzeit faszinierte ihn die Themen Finanzen und Wertpapiere. Er versuchte sich in Geldanlagen. Bei seinen ersten Online-Börsenaktivitäten verlor er Geld. Trotzdem hatte er genug Selbstvertrauen, um 2003 im Alter von 16 Jahren als Teilzeit-Trader bei einem Moskauer Unternehmen anzuheuern. Vormittags Schule, nachmittags Arbeit. Er arbeitete bis Mitternacht, solange die New Yorker Börse geöffnet war. Gleich nach dem Abitur trat er eine Stelle als Händler in der Moskauer Filiale der World Capital Investments (WCI) an. Daneben studierte er am Moskauer Institut für Luftfahrttechnik.

Zwei Jahre später, 2005, wurde er von Yutreyd abgeworben, einer Filiale der Moskauer Uniastrum Bank. Seine Aufgabe: Handelsaktivitäten mit dem amerikanischen Aktienmarkt. Dort erwischte ihn wieder ein falscher Zeitpunkt: 2008, als die Lehman Brothers eine globale Finanzkrise auslösten, wurde seine Bank an die Bank of Cyprus verkauft und ausgerechnet seine Abteilung geschlossen. Er und seine Kollegen wurden arbeitslos. Einen neuen Arbeitsplatz zu finden, schien damals unmöglich.

Es war das Jahr, in dem er als Zwanzigjähriger seine gleichaltrige Frau, eine ehemalige Abeitskollegin, heiratete. Und – wieder falscher Zeitpunkt? – keine zwei Monate nach der Hochzeit stellten sie fest, dass sie ein Baby erwarten. Das junge Paar hatte keine passende Wohnung und war auf die Geburt des ersten Kindes überhaupt nicht vorbereitet.

Und es war das Jahr, in dem Timur, 20 Jahre alt und soeben den Bachelor in Wirtschaftsmanagement gemacht, aus der Not heraus, aber auch seinem Traumziel folgend, sein eigenes Unternehmen gründete. Zusammen mit einigen anderen arbeitslos gewordenen Kollegen wollte er die bisher gewonnenen Erfahrungen im Aktienhandel verwerten. Drei Jahre lang arbeiteten sie hart an der Gründung von Freedom Finance. „Wir waren noch so jung und wollten trotzdem unsere eigene Boutique Brokerage starten. Das war eine lange Reise, und es war wirklich nicht einfach.“

Viele Jahre später, inzwischen Vater von fünf Kindern – ein weiteres Kind hat seine Frau verloren –, blickt Timur Turlov gelassen zurück: „Der Zeitpunkt war damals wirklich unpassend. Aber hätten wir auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, er wäre nie gekommen!“ Denn prinzipiell scheine jeder Zeitpunkt gerade unpassend. Auf einen passenden Zeitpunkt zu warten, habe keinen Sinn, erklärt er aus Erfahrung.

Seine fünf Kinder im Alter von 12 Jahren bis anderthalb Jahren empfindet er als seinen wahren Reichtum. Das mag wie eine Floskel klingen, aber es wirkt glaubhaft, als er noch eine Minute vor Beginn einer großen Pressekonferenz in Berlin unauffällig ins Smartphone blickt und per Video seiner zwölfjährigen Tochter liebevoll zuwinkt, ganz so, als würde ihm das Glück bringen.

Neben den Kindern gibt es freilich noch anderen Reichtum, nachzulesen im Forbes Magazin. Timur nimmt in der Liste der 2.755 reichsten Menschen der Welt die Position 1.517 ein. Sein Vermögen wird mit 2,1 Milliarden US-Dollar angegeben. Und mit seinen 34 Jahren ist er definitiv einer der jüngsten von den Superreichen.

Sein Anteil an Freedom Finance beträgt 72,56 Prozent. Die derzeitige Kapitalausstattung des Unternehmens wird auf vier Milliarden US-Dollar geschätzt (Nasdaq). „Eigentlich fühle ich mich nicht so reich, wie Forbes schreibt. Ich sehe nichts von meinem Vermögen. Das meiste Vermögen steckt in der Börse. Ich habe das noch nie als Cash gesehen.“ So lebt er mit seiner Familie in einem geräumigen Haus in Almaty, der früheren Hauptstadt von Kasachstan, zehn Autominuten vom Büro und zwanzig Minuten von den Skipisten der umliegenden Berge entfernt. Es gibt viele Gründe dafür, dass er sich längst als Kasache fühlt und in wenigen Wochen auch tatsächlich kasachischer Staatsbürger wird.

Nach Kasachstan war er vor elf Jahren gezogen. In Moskau war zu viel Konkurrenz, es war nicht so offen. In Kasachstan ist nicht nur die Durchschnittsbevölkerung deutlich jünger und besser westlich ausgebildet, sondern vor allem die Beamtenschaft im Verwaltungsapparat. Turlov findet sie aufgeschlossener und neugieriger. Außerdem seien die Kasachen freundlicher, zudem habe das riesige Land viel mehr Sonnentage.

Kasachstan verhalf ihm mit dem weltweit führenden Stand an Digitalisierung aller Behördenwege und vor allem des Bankwesens in Rekordzeit zum gigantischen Erfolg. Zum Beispiel könne sein Unternehmen in Kasachstan dank modernster Technologie Darlehensanträge zum Hausbau oder Autokauf völlig papierlos in weniger als zwei Tagen vom Antrag bis zur Genehmigung erledigen.

Solche Erfolge wolle er nicht nur in Zentralasien und Osteuropa erzielen, sondern auch in der Europäischen Union. Um über sein Unternehmen zu erzählen, startete Timur Turlov jüngst seine Präsentationstour durch die Bundesrepublik. Stationen waren vor allem die Finanzmetropole Frankfurt und die Bundeshauptstadt Berlin.

Broker würden gebraucht, um den Kunden und Interessenten günstige Investitionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Sein Unternehmen lege großen Wert auf Forschung und Analytik und begleite Börsengänge aktiv. Das sei ein Wettbewerbsvorteil. Gerade jetzt, in Zeiten einer allgegenwärtigen Inflation, sei es das größte Risiko, sich nicht am Aktienmarkt zu beteiligen. Staatsanleihen und das Halten von Bargeld seien eine negative Form der Investition. Kryptowährungen seien nicht durch Wertschöpfung untermauert.

Der US-Aktienmarkt sei der am stärksten wachsende Markt seit der Finanzkrise 2008/2009. In Europa werde viel Geld gedruckt, es komme jedoch nicht dem Aktienmarkt zugute. China bleibe als Land ein geschlossener Kapitalmarkt. Investieren solle man in Branchen, die man selbst am besten verstehe.

Eine gute Führungskraft zeichne sich vor allem dadurch aus, dass sie stets Zuversicht verbreite, im Unternehmen eine Atmosphäre des Vertrauens aufbaue und die Unternehmensziele klar kommuniziere.

In Frankfurt nahm die Bankenszene die Einladung zur Präsentation zunächst skeptisch auf. Wieder die Frage: Ist das der richtige Zeitpunkt? Vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine befürchteten manche Finanzexperten, gegen Compliance-Regeln ihres Haues zu verstoßen, wenn sie auf der Gästeliste oder sogar auf einem Foto zusammen mit jemandem aus dem Osten zu sehen sind, der womöglich ein Oligarch sein könnte. Jeder andere Unternehmer hätte wohl gesagt: Warten wir lieber den richtigen Zeitpunkt ab. Nicht so Turlov.

Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht. Er präsentierte seine Freedom Holding und seine Success Story in Frankfurt und in Berlin – und es war der richtige Zeitpunkt.

Ewald König

Über Timur Turlov

Timur Turlov ist einer der erfolgreichsten Unternehmer unserer Zeit. Aus dem Nichts gründete er im Alter von 21 Jahren noch während des Studiums der Ökonomie das Unternehmen Freedom Finance und führte es zu einem weltweit erfolgreichen Finanzdienstleistungs-Unternehmen.

Als Staatsbürger Kasachstans spezialisierte sich Herr Turlov von Anfang an auf Brokerage-Aktivitäten an den US-Börsen. Inzwischen ist sein Unternehmen, die Freedom Holding Corp., selbst ein börsennotiertes Unternehmen an der New Yorker Technologiebörse NASDAQ. Mit einem Anteil von 72 Prozent ist Timur Turlov nach dem Börsengang weiterhin Haupteigentümer des Unternehmens, das er als CEO leitet.

Die Marktkapitalisierung der Freedom Holding Corp. beträgt mehr als 4 Milliarden US-Dollar, die Eigenkapitalrate über 332 Millionen US-Dollar. Allein im Geschäftsjahr 2021 belief sich der Umsatz auf mehr als 320 Millionen Dollar.

Ewald König (13. September 1954 in Wien) ist ein österreichischer Journalist in Deutschland. Er ist Korrespondent, Buchautor und Moderator.